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Experimentelle künstlerische Forschung: "Von Ohren der Toten und Stimmen der Lebenden"

Anknüpfend an das Forschungsprojekt "Restitution der Würde" veranstalten das ACT und E3600 scientific artworks am 15. und 18. Juli 2024 ein öffentliches Wissenschaftskommunikationsexperiment auf dem Platz der Alten Synagoge in Freiburg, mit dem sie sich in einem experimentellen künstlerischen Forschungsprozess Wissenschaftspraktiken, Restitutionsfragen und postkolonialen Gedanken widmen.
Wann 15.07.2024 um 15:30 bis
18.07.2024 um 16:00
Wo Platz der Alten Synagoge, Freiburg
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Die Universität Freiburg beherbergt mit der Sammlung Alexander Ecker eine der größten und ältesten anthropologischen Sammlungen im deutschsprachigen Raum. Aufgrund problematischer Beschaffungspraktiken in verschiedenen Ländern werden nun Forderungen nach der Rückgabe bestimmter Themen (als "Objekte") im Depot gestellt. Betrachtet man die Praktiken in der deutschen Kolonialzeit auf dem afrikanischen Kontinent (1884-1918), so wird deutlich, dass sich Überreste von Ahnen unrechtmäßig im Besitz deutscher Universitäten und Museen befinden.

Dieses Projekt befasst sich speziell mit fünf Schädeln von Maka-Individuen, die 1907 durch Hans Dominik, einen gefürchteten Offizier der kaiserlichen "Schutztruppe", und Prof. Carl Albert Haberer aus Kamerun nach Freiburg kamen. Aufgrund forensischer und archivarischer Untersuchungen muss davon ausgegangen werden, dass physische Gewalt zum Tod der fünf Maka führte - ganz im Sinne dessen, was wir von "Strafexpeditionen" aus der Kolonialzeit kennen. Der ebenso berüchtigte Kurator Eugen Fischer integrierte diese Überreste der Ahnen in die bestehende "Sammlung" der Universität und entmenschlichte sie vollständig.

Diese fünf Personen werden nun zum Ausgangspunkt für wichtige und tiefgreifende Fragen. Kulturelle Artefakte, die während der Kolonialzeit geplündert wurden, und erst recht "menschliche Überreste" in Lagern werfen Debatten darüber auf:

  • Welche Art von Wissenschaft wollen wir?
  • Was sind oder könnten die Forderungen von Familien/Gemeinschaften sein in Bezug auf
  • Rückgabe, Entschuldigung, wiederherstellende Gerechtigkeit?
  • Was hat das alles mit "uns" heute zu tun?


Wir weiten die Diskussionen zwischen Wissenschaftlern auf den öffentlichen Raum aus und schaffen Begegnungs- und Dialogmöglichkeiten, die es uns ermöglichen, gemeinsam über die Herausforderungen unseres schwierigen Erbes in Deutschland (und in Freiburg im Besonderen) nachzudenken. Die experimentelle künstlerische Forschung, die von E 3600 scientific artworks in Zusammenarbeit mit dem ACT durchgeführt wird, konzentriert sich auf Begriffe wie Menschlichkeit, Kolonialismus, Wissenschaft, Würde und die Beziehungsethik zwischen Freiburg und den "archivierten" Menschen

Am 15. Juli von 15.30 - 18.00 Uhr und am 18. Juli von 13.30 - 16.00 Uhr werden auf dem Platz der Alten Synagoge Audio-Installationen aufgebaut, die Interessierten Einblicke und Anstöße für mögliche anschließende Dialoge mit und Fragen an das Projektteam geben.

Vorbereitender Workshop zum Experiment

Am 15. und 16. Juni fand im Arnold Bergstraesser Institut der Auftakt des Projekts "Ohren der Toten, Stimmen der Lebenden" statt. Umgeben vom Grün der Institutsanlagen, frischem Obst und leckeren Keksen, starteten unsere freiwilligen Teilnehmer*innen in dieses experimentelle Forschungsprojekt. Abelina und Melanie, zwei studentische Mitarbeiterinnen, berichteten:

"Über zwei intensive Tage bereiteten wir uns gemeinsam auf Umsetzung des Projektes, der Schaffung eines Gesprächraumes auf dem Platz der Alten Synagoge, vor, lernten einander besser kennen und näherten uns der Frage an, wie Würde restituiert werden kann.

Am ersten Tag wurden wir, die Teilnehmer*innen, in Begleitung von Heiko Wegman, einem sehr erfahrenen Historiker und Journalisten, in die Kolonialgeschichte Freiburgs sowie in die Geschichten der Maka-Schädel (Ahnen, sensible Objekte) eingeführt. Diese Reise in die Vergangenheit beleuchtete neben den Ursprüngen des Raubes der Schädel auch die entmenschlichenden Dimensionen des Freiburger Kolonialismus. Sie regte uns zum Nachdenken über die Rolle Freiburgs und insbesondere der Freiburger Universität im Rahmen des deutschen Kolonialprojektes an. Des Weiteren führte uns der Samstag auch dahin, zu ersinnen, welche Auswirkungen und Spuren des deutschen Kolonialismus bis heute sichtbar und wirkmächtig sind.

Der zweite Teil des Workshops war geprägt von der Interaktion innerhalb der Gruppe und die Annäherung an das methodologische Vorgehen, nämlich der Kommunikation wissenschaftlichen Arbeitens durch künstlerische Mittel. Unter der Anleitung von Regisseur Michael Buseke arbeiteten wir daran, unsere eigenen Körper_innen wahrzunehmen. Das gab uns den Raum, unserem eigenen Auftreten nachzugehen und zu fragen, wie sich unser Auftreten ehrlich und authentisch anfühlt.

Zugleich wurden die Ziele und der Ansatz des Projekts intensiv diskutiert. Unsere Unterschiede innerhalb der Gruppe, unterschiedliche Bedürfnisse, Erwartungen, Gefühle, Einstellungen und Zielsetzungen führten uns bereits in dieser ersten Veranstaltung zu tiefgreifenden und schwierigen Fragen: Welche Positionen und Sozialisierungen verkörpern wir selbst, während wir miteinander ins Gespräch gehen? Wessen Ohren, wessen Stimmen und wessen Körper werden bei der Projektumsetzung mitgedacht und wie kann diese inklusiver gestaltet werden? Wie kann Kollaboration bei so vielen unterschiedlichen, anwesenden und nicht anwesenden Akteur_innen für alle lernreich und fruchtbar sein?

Dank dem Engagement und der Ehrlichkeit der Teilnehmenden konnten viele neue Perspektiven für das Projekt erschlossen werden. Dieser Workshop diente nicht nur als wissenschaftliches, historisches und dialektisches Fundament für die Projektgemeinschaft, sondern bot auch die Möglichkeit, voneinander zu lernen und ein tieferes Verständnis zu entwickeln.

Wir freuen uns auf eine farbenfrohe Premiere im Juli, die sowohl von den Ohren der Toten als auch den Stimmen der Lebenden lernen wird."